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Geschäftsbericht der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit für das pandemiege-prägte Jahr 2021 vorgestellt: Weiterer Abbau der Bestände an den Verwaltungsgerichten trotz fortbestehender hoher Belastungssituation

Im Rahmen der Jahrespressekonferenz hat der Präsident des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Dr. Thomas Smollich am 20. April 2022 im Fachgerichtszentrum in Hannover den Geschäftsbericht der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit für das Jahr 2021 vorgestellt.

Das Geschäftsjahr 2021 der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit war erneut – wie alle gesellschaftlichen Bereiche – im Wesentlichen durch die Corona-Pandemie beeinflusst. Allerdings haben sich die Arbeitsabläufe an den Gerichten unter den besonderen Bedingungen weiter etabliert. Vor allem das Arbeiten mit der elektronischen Gerichtsakte hat ganz erheblich dazu beigetragen, dass die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit ihren Auftrag, einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, erfüllt hat. Neben der guten technischen Ausstattung hat vor allem die unvermindert fortbestehende große Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit aller Beschäftigten darüber hinaus auch zu einem guten Ergebnis bei den Geschäftszahlen geführt“, so der Präsident des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Dr. Thomas Smollich.

Wie in den sechs Jahren zuvor war die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit auch im Jahr 2021 großer Belastung und hohem Arbeitsdruck ausgesetzt. An den Verwaltungsgerichten resultierte dies insbesondere aus den am Ende des Jahres 2021 noch vorhandenen ca. 26.200 Beständen, die sich aufgrund der deutlichen Überbelastung in den Vorjahren aufgebaut hatten und seit 2019 nur schrittweise zurückgeführt werden können. Zudem sorgte ein im Haushaltsplan 2021 noch vorgesehener Abbau von 40 Richterstellen und 26 Beschäftigungsmöglichkeiten im Servicebereich bis Ende 2022 für eine Verunsicherung der Beschäftigten. Mit dem Haushaltsplan 2022/23 wurde diese Einsparverpflichtung deutlich verändert. Im Ergebnis müssen bis zum 31.12.2022 aber gleichwohl noch sieben Richterstellen und 16 Beschäftigungsmöglichkeiten eingespart werden. Ein weiterer Stellenabbau ist gestaffelt auf die Jahre 2027-2029 verschoben worden. In dieser Situation ist es den Richterinnen und Richtern an den Verwaltungsgerichten durch ihren überobligatorischen Einsatz dennoch gelungen, ca. 1.400 mehr Verfahren zu erledigen als eingegangen sind und dadurch die Bestände weiter zu reduzieren. Auch konnte die Anzahl der bereits über zwei Jahre anhängigen Verfahren deutlich gegenüber dem Vorjahr von 10.061 (dem höchsten Stand seit 10 Jahren) auf 7.335 reduziert werden. Trotz dieser großen Arbeitsanstrengungen war ein weiterer Anstieg der Verfahrensdauern allerdings nicht zu verhindern.

Eine Entspannung der Belastungssituation ist nicht in Sicht. Die Zahl der Altverfahren liegt noch immer mehr als zehnmal so hoch wie im Jahr 2017. Wollte man nur den Bestand an Asylverfahren – also ohne allgemeine Verfahren und Neueingänge – innerhalb eines Jahres abbauen, wären dafür rechnerisch etwa 80 bis 90 Richterstellen, also etwa die Hälfte aller im Richterdienst der Verwaltungsgerichte zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, erforderlich. Weiter droht ein erneuter Anstieg der Asylverfahren, da sich bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die noch zu entscheidenden Asylverfahren, für die die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig wäre, binnen eines Jahres mit über 11.000 Verfahren nahezu verdoppelt haben und zusätzlich bislang ruhend gestellte Asylverfahren nunmehr einer Entscheidung zugeführt werden sollen. Bei den allgemeinen Verfahren war bereits im Jahr 2021 ein Anstieg um 5 % zu verzeichnen und ein weiterer Anstieg im Jahr 2022 ist zu erwarten. „Angesichts der daher weiter bestehenden Belastung ist der Verlust von Stellen zum Ende des Jahres 2022 insbesondere im Hinblick auf die hieraus zu erwartende Zunahme der Verfahrensdauer schmerzhaft. Dies gilt umso mehr, als die Belastungssituation im Jahr 2021 bereits allein aufgrund der Neueingänge bei knapp über 100 Prozent lag, der erreichte Abbau der Bestände also nur aufgrund des besonderen Einsatzes der Kolleginnen und Kollegen möglich gewesen ist“, führte Dr. Smollich aus.

Am Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht lagen im Jahr 2021 die Eingänge bei den in der Regel sehr umfangreichen und zeitintensiven erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren (z.B. straßenrechtliche Planfeststellungsverfahren und Errichtung von Windenergieanlagen) auch ohne die infektionsschutzrechtlichen Normenkontrollklagen das zweite Jahr in Folge auf einem sehr hohen Niveau. Diese haben gegenüber dem Vorjahr um 15 % zugenommen und sich damit seit dem Jahr 2019 um 55 % erhöht. Wenngleich im Jahr 2021 die Anzahl der Erledigungen in den erstinstanzlichen Hauptsachverfahren deutlich gesteigert und die Verfahrensdauer in den übrigen Verfahren reduziert werden konnte, wurde eine Verringerung der Bestände im Gegensatz zu den beiden Vorjahren unter diesen Umständen nicht mehr erreicht. Die besondere Belastung zeigt sich auch an der Arbeitsbelastung pro Kopf, die trotz einer leichten Verringerung gegenüber dem Jahr 2020 (126 %) mit 118 % deutlich über dem Normalpensum einer Richterstelle lag. „Durch die Schaffung eines neuen Senats, die Konzentration von Rechtsgebieten und die Stärkung der für das Planungsrecht zuständigen Senate Ende des Jahre 2021 wurde dieser Situation Rechnung getragen, um auch künftig effektiven Rechtsschutz zu gewähren“, erläuterte Dr. Smollich.

Auch 2021 war die Situation an den Verwaltungsgerichten wieder durch eine große Anzahl von infektionsschutzrechtlichen Verfahren geprägt. An den Verwaltungsgerichten haben sich die diesbezüglichen Klageverfahren von 247 im Jahr 2020 (April bis Dezember) auf 622 deutlich erhöht. Zusätzlich sind dort 320 Verfahren zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes eingegangen. Am Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht sind hingegen geringfügig weniger Anträge zur Überprüfung infektionsschutzrechtlicher Regelungen und Maßnahmen gestellt worden. Von den insgesamt 274 Verfahren (April bis Dezember 2020: 307) entfielen 79 auf Normenkontrollanträge, 157 auf Normenkontrolleilanträge und 38 auf Beschwerden gegen Eilentscheidungen der Verwaltungsgerichte. Im besonderen Fokus standen insoweit etwa die vorläufige Außervollzugsetzung der coronabedingten Kontaktbeschränkungen auf fünf Personen, die Bestätigung der Rechtswidrigkeit der Ausgangsbeschränkungen in der Region Hannover, die vorläufige Außervollzugsetzung der Schließung von Diskotheken, Clubs und ähnlichen Einrichtungen sowie Shisha-Bars bei einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 10, die vorläufige Außervollzugssetzung der 2-G-Plus-Regelung bei körpernahen Dienstleistungen und von 2-G im Einzelhandel.

Daneben spiegelten sich aber auch in anderen Rechtsgebieten gesellschaftlich relevante Konfliktthemen wieder, so etwa in der Entscheidung des 7. Senats, dass der Planfeststellungsbeschluss des Landkreises Göttingen zum Umbau der Weserbrücke in Hannoversch Münden rechtswidrig und nicht vollziehbar ist, der Entscheidung des 11. Senats zur Zulässigkeit von Rindertransporten nach Marokko nach geltendem Recht und der Entscheidung des 10. Senats, dass dreijährige Kinder einen Anspruch auf Betreuung in einem Kindergarten im Umfang von sechs Stunden täglich haben. Zukünftig werden auf das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht auch vermehrt Streitigkeiten um die Errichtung von Windenergieanlagen zukommen, da es seit Ende 2020 praktisch für alle neuen Verfahren um die Errichtung, den Betrieb und die Veränderung von Windenergieanlagen erstinstanzlich zuständig ist.

Einzelheiten zur Geschäftsentwicklung können dem Geschäftsbericht für das Jahr 2021 entnommen werden, der in elektronischer Form dieser Pressemitteilung beigefügt ist und auf der Homepage des Oberverwaltungsgerichts abgerufen werden kann.

Artikel-Informationen

erstellt am:
21.04.2022

Ansprechpartner/in:
RiOVG Harald Kramer

Nds. Oberverwaltungsgericht
Pressestelle
Uelzener Straße 40
21335 Lüneburg
Tel: 04131/718-127
Fax: 05141/5937-32300

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