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Geschäftsbericht für das pandemiegeprägte Jahr 2020 vorgestellt: Verwaltungsgerichtsbarkeit gelingt trotz erschwerter Umstände weiterer Abbau der Bestände

Im Rahmen der Jahrespressekonferenz, die pandemiebedingt digital durchgeführt wurde, hat der Präsident des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Dr. Thomas Smollich am 15. April 2020 den Geschäftsbericht der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit für das Jahr 2020 vorgestellt.

2020 war ein außergewöhnliches Jahr. Wie in der gesamten Gesellschaft hat sich die Corona-Pandemie auch auf die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgewirkt und nicht nur Arbeitsabläufe, sondern den gesamten beruflichen Alltag verändert. Mit umfassenden Hygienekonzepten, Abstandsregeln, Einzelunterbringung in den Büros, Schutzwänden, Masken, Luftfiltergeräten und verstärkter Heimarbeit in allen Dienstzweigen ist es uns aber gelungen, alle Betroffenen bestmöglich zu schützen und gleichzeitig unsere wichtige Aufgabe, nämlich einen ausreichenden und insbesondere in Eilverfahren zeitnahen Rechtsschutz zu gewährleisten, aufrecht zu erhalten. Die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit befand sich zu keinem Zeitpunkt im Lockdown, sondern die Gerichte waren und sind durchgängig zugänglich“ so der Präsident des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Dr. Thomas Smollich.

Unter diesen besonderen Bedingungen war die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit im Jahr 2020 im fünften Jahr in Folge großer Belastung und hohem Arbeitsdruck ausgesetzt. An den Verwaltungsgerichten wurde die Situation zusätzlich durch den einsparungsbedingten Personalabbau von insgesamt 21 Beschäftigten (8 Stellen des Richterdienstes; 13 Stellen des nichtrichterlichen Dienstes) erschwert. „In dieser Ausgangslage ist es eine beachtliche Leistung und nur dem überobligatorischen Einsatz aller Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, dass es trotzdem gelungen ist, den hohen Gesamtbestand der Verfahren weiter zu reduzieren“, wie Dr. Smollich ausführte.

Trotz dieses Bestandsabbaus und der leicht rückläufigen Eingangszahlen ist allerdings keine Entspannung der besonderen Belastungssituation in Sicht. Die Zahl der anhängigen Verfahren bei den Verwaltungsgerichten lag Ende 2020 mit insgesamt 27.995 Verfahren immer noch außergewöhnlich hoch. Um den Stand des Jahres 2015 vor Beginn der Flüchtlingskrise zu erreichen, müssten somit neben der Bearbeitung der neu eingehenden Verfahren weitere 14.000 Verfahren erledigt werden. Wollte man diesen Bestandsabbau innerhalb eines Jahres schaffen, müssten sich mehr als 90 Richterinnen und Richter, also mehr als die Hälfte aller im Richterdienst der Verwaltungsgerichte zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, ausschließlich mit der Abarbeitung dieser Bestände befassen.

Folge dieser hohen Belastung ist ein weiterer Anstieg der Verfahrenslaufzeit. So hat sich die durchschnittliche Verfahrensdauer bei den Verwaltungsgerichten bei nahezu allen Verfahrensarten weiter verlängert. Im Bereich der asylrechtlichen Klageverfahren fällt der Anstieg von 16,7 Monaten im Jahr 2019 auf nunmehr 23,1 Monate besonders hoch aus. Ursächlich dafür ist neben der nach wie vor hohen Eingangsbelastung und den hohen Beständen vor allem die Komplexität und Zeitintensität der asylrechtlichen Hauptsacheverfahren. Bei den allgemeinen Klageverfahren und den Eil- und Beschwerdeverfahren ist die durchschnittliche Verfahrensdauer jeweils leicht gestiegen (Klageverfahren 2019: 11,6 Monate, 2020: 12,8 Monate; Eil- und Beschwerdeverfahren 2019: 1,6, 2020: 1,8 Monate). Beim Oberverwaltungsgericht reduzierte sich die Verfahrensdauer bei den erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren von durchschnittlich 19,5 Monaten im Jahr 2019 auf 13,1 Monate bzw. ohne die „Corona-Verfahren“ auf 17, 9 Monate im Jahr 2020. Besonders erfreulich ist, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer bei den Eil- und Beschwerdeverfahren, die im Jahr 2019 noch bei 4,0 Monaten lag, mit 2,5 Monaten im Jahr 2020 fast halbiert werden konnte. Bei den infektionsschutzrechtlichen Eil- und Beschwerdeverfahren lag sie sogar nur bei 9 Tagen.

Im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen führte Dr. Smollich aus: „Ich blicke mit gewisser Sorge auf die kommenden Jahre. Nach der derzeitigen Haushaltslage müssten in den nächsten zwei Jahren 41 Richterstellen und 26 Beschäftigungsmöglichkeiten im Servicebereich abgebaut werden. Diese Situation führt in der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht nur zu Verunsicherung, sondern gefährdet auch den im Jahr 2019 eingeleiteten und im Jahr 2020 fortgeführten Abbau der Altverfahren. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht setzt sich daher gemeinsam mit dem Niedersächsischen Justizministerium für den Erhalt bzw. für die Verschiebung des Abbaus dieser Stellen ein, um den effektiven Rechtsschutz auch künftig zu sichern, der auch die zeitnahe Entscheidung eines Verfahrens beinhaltet.“

In der Jahrespressekonferenz ging Dr. Smollich auch auf die in der Öffentlichkeit häufig besonders beachteten Entscheidungen zum Infektionsschutzrecht ein. Bei den Verwaltungsgerichten sind 2020 im Zusammenhang mit einschränkenden Corona-Regelungen 247 Klagen und 297 Eilanträge eingegangen; 285 dieser Eilanträge wurden bereits erledigt. Beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht sind in dem für das Infektionsschutzrecht zuständigen 13. Senat seit Beginn der Pandemie im März 2020 insgesamt 307 Verfahren eingegangen (109 erstinstanzliche Normenkontrollanträge, 167 Normenkontrolleilanträge und 31 Beschwerden gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte). Sämtliche Eil- und Beschwerdeverfahren wurden bereits abschließend bearbeitet. Die Erfolgsquote der Eilverfahren lag bei ca. 10 %. Zu den erfolgreichen Normenkontrolleilverfahren, die in der Öffentlichkeit auch aufgrund der Allgemeinverbindlichkeit solcher Entscheidungen besonders wahrgenommen wurden, gehörten etwa die vorläufige Außervollzugsetzung der zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 geltenden grundsätzlichen Quarantänepflicht für Reiserückkehrer, der im Herbst 2020 angeordneten Beherbergungsverbote und Sperrstunden in der Gastronomie und des Feuerwerksverbots zu Silvester. Demgegenüber hatten zahlreiche Verfahren, etwa bezüglich der Maskenpflicht und der Schließung verschiedener Betriebe wie Möbelhäuser, Elektronikfachmärkte, Restaurants, Hotels, Spielhallen und Fitnessstudios keinen Erfolg. „Die Bandbreite der getroffenen Entscheidungen zeigt, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit ihren Aufgaben, als dritte Gewalt das Handeln der öffentlichen Verwaltung zu kontrollieren und oftmals innerhalb von wenigen Wochen oder sogar Tagen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, im Jahr 2020 in besonderem Maße gerecht wurde“, so Dr. Thomas Smollich.

Einzelheiten zur Geschäftsentwicklung können dem Geschäftsbericht für das Jahr 2020 entnommen werden, der in elektronischer Form dieser Pressemitteilung beigefügt ist und auf der Homepage des Oberverwaltungsgerichts abgerufen werden kann.

Artikel-Informationen

erstellt am:
15.04.2021
zuletzt aktualisiert am:
16.04.2021

Ansprechpartner/in:
Ri'inOVG Dr. Gunhild Becker

Nds. Oberverwaltungsgericht
Pressestelle
Uelzener Str. 40
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Tel: 04131/718-216
Fax: 05141/5937-32300

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