Artikel-Informationen
erstellt am:
15.02.2022
Ansprechpartner/in:
RiOVG Heiko Leitsch
Nds. Oberverwaltungsgericht
Pressestelle
Uelzener Str. 40
21335 Lüneburg
Tel: 04131/718-154
Fax: 05141/5937-32300
Der 1. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Urteil vom 10. Februar 2022 einem Normenkontrollantrag gegen den Vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 32 „Industriegebiet Wulfheide“ der Gemeinde Hagen im Bremischen stattgegeben (Az.: 1 KN 11/20).
Die Antragstellerin des Normenkontrollverfahrens betreibt im Außenbereich der Gemeinde den „Hoope Park“, ein Motodrom mit Off-Road-Geländestrecken für Motorrad und Geländewagen. Grundlage des Betriebs ist eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung aus dem Jahr 1982, die allerdings den Trainingsbetrieb auf höchstens drei Tage in der Woche beschränkt. Die Antragstellerin strebt eine Ausweitung des Betriebs auf fünf Tage in der Woche an; ein entsprechender Antrag ist seit Oktober 2018 beim Landkreis Cuxhaven anhängig.
Die Beigeladene und Begünstigte des Bebauungsplans betreibt seit Ende der 1990er Jahre auf einer an den Hoope Park angrenzenden Fläche Sandabbau. Für den Standort wurde ihr - befristet bis zum Ende des Jahres 2015 - eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine sehr lärmintensive Brecheranlage erteilt; eine Verlängerung ist beantragt. Zur industriellen Nachnutzung der Sandabbaufläche beantragte die Beigeladene im Frühjahr 2012 die Aufstellung des hier streitgegenständlichen Bebauungsplans.
Diesem Wunsch kam die Gemeinde Hagen mit dem im September 2019 beschlossenen Vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 32 „Industriegebiet Wulfheide“ nach. Der Plan lässt den Betrieb der Brecheranlage und weiterer besonders lärmintensiver Anlagen an vier Tagen in der Woche zu, an denen im „Hoope Park“ kein Trainingsbetrieb stattfindet. Dabei geht der Plan davon aus, dass ein hinreichender Schallschutz für die Umgebungsbebauung nur bei dem Ausschluss eines zeitgleichen „Volllastbetriebs“ von Motocross- und Brecheranlage sicher gewährleistet sei. Ausgehend von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aus dem Jahr 1982, nach der der Trainingsbetrieb im „Hoope Park“ auf höchstens drei Tage in der Woche beschränkt ist, dürfe die Beigeladenen an maximal vier Wochentagen im Volllastbetrieb arbeiten. Eine Erweiterung des Trainingsbetriebs im „Hoope Park“ auf weitere Wochentage sei damit ausgeschlossen.
Der 1. Senat hat den angegriffenen Bebauungsplan für unwirksam erklärt. Nach Auffassung des Senats weist der Bebauungsplan einen zu seiner Unwirksamkeit führenden Fehler auf. Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans habe die Gemeinde sämtliche Belange, die für die Abwägung von Bedeutung seien, zu ermitteln und zu bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB); auch seien die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB). Bei einem Vorhabenbezogenen Bebauungsplan müsse sich die Gemeinde zudem vergewissern, dass der Vorhabenträger zur Durchführung des Vorhabens auch in der Lage sei (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Diesen Verpflichtungen sei der Rat der Gemeinde nicht hinreichend nachgekommen. Zwar habe er den von der Antragstellerin im Oktober 2018 gestellten immissionsschutzrechtlichen Änderungsantrag zur Kenntnis genommen. Die Gemeinde habe jedoch weder den konkreten Sachstand des Genehmigungsverfahrens ermittelt noch dem Antrag das ihm zukommende Gewicht beigemessen. Im Immissionsschutzrecht gelte das sog. Prioritätsprinzip, nach dem regelmäßig dem Vorhaben Vorrang gebühre, für das der Antrag früher gestellt bzw. früher zur Entscheidungsreife gelangt sei. Demgemäß sei in den Blick zu nehmen, dass der für die Fortsetzung des Betriebs der Brecheranlage gestellte immissionsschutzrechtliche Antrag der Beigeladenen frühestens mit der von dem Inkrafttreten des Vorhabenbezogenen Bebauungsplans abhängigen Ausweisung des Standortes als Industriegebiet habe genehmigungsfähig werden können. Einer positiven Bescheidung des Änderungsantrags der Antragstellerin auf Ausweitung ihr Trainingszeiten auf fünf Tage habe Bauplanungsrecht hingegen nicht entgegengestanden. Die Gemeinde habe daher mit der Erteilung einer Genehmigung rechnen müssen. Wäre der Antragstellerin die Genehmigung erteilt worden, wäre der auf einen Volllastbetrieb im Industriegebiet an vier Tagen in der Woche gerichtete Bebauungsplan hinfällig geworden. Dieses Risiko und ebenso die sich aus dem Prioritätsprinzip ergebende Rechtsposition der Antragstellerin habe der Rat der Gemeinde zu Unrecht nicht gewürdigt. Hiervon sei er entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung auch nicht deswegen entbunden gewesen, weil zu dem Änderungsantrag der Antragstellerin aufgrund der Lage der Motorsportanlage im Außenbereich das gemeindliche Einvernehmen einzuholen war. Denn die Gemeinde wäre nicht berechtigt gewesen, das Einvernehmen wegen ihrer gegenläufigen Planungsabsichten zu verweigern.
Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hat der Senat nicht zugelassen. Dagegen kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde eingelegt werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
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erstellt am:
15.02.2022
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